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Tallinn, die Hauptstadt Estlands, wurde kürzlich zur Grünen Hauptstadt Europas 2023 gekürt, womit sie zahlreichen anderen europäischen Städten wie Stockholm, Hamburg, Kopenhagen, Grenoble, Ljubljana, Lissabon und Lahti folgt. Das „Grüne Blatt 2022“, mit dem Städte mit 20 000 bis 100 000 Einwohnern ausgezeichnet werden, wurde an Valongo in Portugal und Winterswijk in den Niederlanden vergeben. Mir kam das Privileg zu, an den Beratungen der Jury teilzunehmen. Ich fand es äußerst inspirierend und bereichernd, zu sehen, welche Nachhaltigkeitsmaßnahmen Städte in Europa treffen, um für die künftigen Herausforderungen gerüstet zu sein. Allerdings ist der Weg zu urbaner Nachhaltigkeit nicht leicht.
Rund drei von vier Menschen in Europa leben in Städten. Städte sind komplexe Systeme, die menschliche Gemeinschaften und die Umwelt in einem lebendigen, sich ständig entwickelnden Umfeld zusammenbringen. Es sind gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Zentren, die in die umliegenden Regionen eingebettet sind. Trotz dieser Gemeinsamkeiten ist jede Stadt in Europa einzigartig. Ihre Besonderheiten haben sich durch die Geschichte hindurch aufgrund ihrer geografischen Lage, ihrer Einwohner und ihrer gesellschaftspolitischen Systeme herausgebildet. Jede Stadt steht daher vor ganz eigenen Herausforderungen.
Manche Städte haben mit einer alternden oder rückläufigen Einwohnerschaft zu kämpfen, während andere Städte wachsen. Der Niedergang eines Wirtschaftszweigs wie Schwerindustrie, Tourismus oder Fischerei kann die wirtschaftliche Situation einer Stadt schwer beinträchtigen, wohingegen andere Städte Magneten wirtschaftlicher Innovation sein können, die junge Menschen aus der gesamten EU anziehen. In ähnlicher Weise können Städte ganz unterschiedliche Umweltauswirkungen haben.
Unsere Instrumente wie der europäische Luftqualitätsindex oder der Überblick über die Luftqualität in europäischen Städten zeigen, dass wir nicht alle dieselbe Luft einatmen, was sowohl verschiedene Ursachen als auch Konsequenzen hat. Andere Berichte und Indikatoren machen deutlich, dass der Klimawandel verschiedene Regionen – und Städte – unterschiedlich trifft. Küstenstädte, vor allem am Nordwestatlantik, werden sich stärkeren Sturmflutrisiken gegenübersehen, während Städten im Süden womöglich Wasserknappheit oder Waldbrände drohen. Unsere Untersuchungen zeigen auch, dass einige gesellschaftliche Gruppen, insbesondere die Älteren, innerhalb einer Stadt vulnerabler sind, da sie Mehrfachbelastungen wie Luftverschmutzung und Lärm ausgesetzt sein können.
Dennoch müssen alle Städte, ungeachtet ihrer Besonderheiten und künftigen Herausforderungen, Maßnahmen ergreifen, um den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen. Jede Stadt muss ihren Beitrag zu den Zielen der Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft und Artenvielfalt leisten und dabei sicherstellen, dass die Umwelt sauberer und gesünder wird und dass ihre Bewohner bessere soziale und wirtschaftliche Chancen vorfinden.
Die meisten europäischen Städte sind schon seit Jahrhunderten bewohnt, was sich in ihren Straßen, Vierteln und Gebäuden widerspiegelt. Die vorhandene Infrastruktur bestimmt mit, wie schnell der Gebäudebestand ersetzt oder existierende Gebäude saniert oder wie schnell neue Verkehrsangebote geschaffen werden können. In diesen Städten erfordert das Streben nach Nachhaltigkeit eine sorgfältige Planung.
Auch wenn das Endziel für alle gleich ist, der Weg zur Nachhaltigkeit muss zweifelsohne auf die Besonderheiten und Herausforderungen der jeweiligen Stadt abgestimmt sein. Die Europäische Umweltagentur bringt verschiedene Interessenträger zusammen, um gemeinsam einen konzeptionellen Rahmen zu entwickeln, der die Basis für unser kürzlich erstelltes Briefing und den dazugehörigen Bericht sowie unsere bevorstehenden Bewertungen zu dem Thema bildet. Dieser Rahmen soll Stadtverwaltungen und politischen Entscheidungsträgern helfen, die Transformation nachhaltig zu gestalten, indem sie städtische Nachhaltigkeit aus sechs Blickwinkeln betrachten: kreislauforientierte Stadt, resiliente Stadt, CO2-arme Stadt, grüne Stadt, integrative Stadt und gesunde Stadt.
Es gibt viele Dinge, die Städte hinsichtlich ihrer Transformation zu nachhaltigen urbanen Zentren unternehmen können: von der Schaffung grüner und blauer Bereiche im Stadtzentrum bis zur Verzahnung von öffentlichen Verkehrsmitteln mit aktiven Bewegungsformen wie Radfahren oder Gehen oder die Entwicklung besserer Recyclingsysteme. Eine stärkere Anwendung technologischer Entwicklungen, etwa von Elektromobilität oder Telearbeit, kann diesen Prozess zusätzlich beschleunigen. Die Grünen Hauptstädte Europas zeigen zudem, dass eine langfristige, kohärente Vision, unterstützt durch einschlägige Governance-Strukturen, Kenntnisse und Daten, Städte innerhalb weniger Jahrzehnte von Grund auf transformieren können.
Hans Bruyninckx
Exekutivdirektor der EUA
Leitartikel in der Ausgabe des EUA-Newsletters vom September 2021
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