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Die Umwelt in Europa: Der zweite Lagebericht

7. Abfall

Seite Zuletzt geändert 19.04.2016
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7. Abfall


Wichtigste Erkenntnisse


Zwischen 1990 und 1995 stieg das gesamte Abfallaufkommen der europäischen OECD-Mitgliedstaaten um nahezu 10 %. Ein Teil dieser offensichtlichen Zunahme mag allerdings darauf zurückzuführen sein, daß die Entwicklung in diesem Bereich genauer verfolgt und erfaßt wird. Dennoch erschweren die mangelnde Harmonisierung und unvollständige Datenerfassung nach wie vor eine gesamteuropäische Beobachtung der Entwicklungstendenzen und die Inangriffnahme anspruchsvollerer Ziele im Bereich der Abfallpolitik.


Die Zunahme des Siedlungsabfallaufkommens in den europäischen OECD-Mitgliedstaaten zwischen 1990 und 1995 wird auf 11% geschätzt. 1995 fielen etwa 200 Mio. Tonnen Siedlungsabfälle an, das entspricht 420 kg pro Person und Jahr. Die verfügbaren Daten zu den Siedlungsabfällen in den MOEL und den NUS sind noch nicht genügend abgesichert, um eine generelle Tendenz auszumachen.


Deutschland und Frankreich waren die Hauptverursacher der annähernd 42 Mio. Tonnen gefährlicher Abfälle pro Jahr, die die europäischen Mitgliedsländer der OECD für den Zeitraum um 1994 meldeten. Auf die Russische Föderation entfielen etwa zwei Drittel der 30 Mio. Tonnen Sondermüll, die Anfang der neunziger Jahre alljährlich in ganz Osteuropa anfielen. Diese Gesamtmengen können allerdings wegen der unterschiedlichen Definitionskriterien lediglich als Richtwerte betrachtet werden.


In der Abfallwirtschaft der meisten Länder wird immer noch vorwiegend die kostengünstigste Variante gewählt: die Ablagerung auf Deponien. Doch die Kostenrechnungen schließen selten die Folgekosten ein (beispielsweise Kosten, die nach der Schließung der Deponien entstehen), auch wenn in einigen Staaten Abfallsteuern erhoben werden (z.B. Belgien, Dänemark, Vereinigtes Königreich und Österreich). Abfallvermeidung und -reduzierung werden zunehmend als für die Umwelt günstigere Lösungen erkannt. Der verstärkte Einsatz von umweltschonenden Technologien und von Vermeidungskonzepten würde sich auf die Abfallsituation, insbesondere bei Sondermüll, sehr positiv auswirken. In Ländern mit gut ausgebauter Abfallwirtschaft nimmt das Recycling zu.


In vielen MOEL und in den NUS spitzt sich die Situation durch die hinterlassenen Altlasten und die Zunahme des Abfallaufkommens immer mehr zu. Dort erfordert eine effiziente Abfallwirtschaft bessere strategische Planung und mehr Investitionen. Zu den Prioritäten zählen eine Verbesserung der Entsorgung von Siedlungsabfällen mit Hilfe einer verbesserten Mülltrennung und einer verbesserten Bewirtschaftung der Deponien, die Einführung von Recyclingmaßnahmen auf lokaler Ebene und die Durchführung von kostengünstigen Maßnahmen zur Verhinderung von Bodenverunreinigungen.


Eine Verpflichtung zur nachhaltigen Nutzung von Ressourcen, bei der Umweltschäden möglichst gering gehalten und das “Verursacherprinzip” sowie das “Prinzip der Entsorgungsnähe” eingehalten werden, hat die EU dazu veranlaßt, eine breite Palette gesetzlicher Regelungen zu schaffen, die zum Ziel haben, die Gesetzgebung der einzelnen Länder im Bereich der Abfallwirtschaft zu unterstützen und zu harmonisieren. Im Vorfeld des EU-Beitritts verfolgen inzwischen einige mittel- und osteuropäische Länder einen ähnlichen Ansatz. Doch in den meisten anderen Ländern Osteuropas und in den NUS entspricht das Abfallrecht noch längst nicht den Erfordernissen.



7.1 Einleitung


Die von den Industriegesellschaften erzeugte Abfallmenge ist gigantisch: jährlich 4 Mrd. t feste Abfälle allein in Europa, d.h. 5 t pro Jahr und Person, ob Mann, Frau oder Kind. Die Relevanz der Abfallproduktion ergibt sich aus zwei Gründen: Zum einen können Abfälle Probleme für die Umwelt und die Gesundheit des Menschheit hervorrufen, zum anderen läßt sich daran ablesen, wie ineffektiv eine Gesellschaft ihre Ressourcen nutzt.


Nicht nur in Europa bestehen Bedenken im Hinblick auf die möglichen Umweltwirkungen der wachsenden Müllberge, insbesondere was das Gefahrenpotential einer unkontrollierten Entsorgung betrifft. 85 % der EU-Bürger geben an, daß sie sich über die Industrieabfälle Sorgen machen.


(Eurobarometer, 1995). Im Vordergrund stehen dabei:


• die Verschmutzung von Boden und Wasser, zum Beispiel durch die Auswaschung von Schadstoffen aus Deponien in Oberflächen- und Grundwasser, was eine Beeinträchtigung des Trinkwassers wie auch eine Belastung von Binnen- und Küstengewässern mit sich bringen kann. In Deponien von Siedlungsabfällen entsteht Sickerwasser, das häufig organische Substanzen, Ammoniak, Schwermetalle und andere toxische Stoffe enthält. Die Behandlung des Sickerwassers ist technisch schwierig und dazu kostenaufwendig.

• Methanemissionen aus Deponien in die Luft, die zur globalen Erwärmung beitragen. So entstandene explosive Gemische haben bereits zu Bränden und Explosionen geführt, bei denen auch Opfer zu beklagen waren.

• Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch Deponien.

• Gefahren infolge eines spontanen Abrutschens des aufgehäuften Abfalls.

• Dioxinemissionen bei der Verbrennung von Abfällen, wenn keine geeignete Technologie zum Einsatz kommt.

• Flugasche aus Verbrennungsanlagen, die generell gefährlich ist.

• die Altlastenproblematik an ehemaligen Deponiestandorten, wodurch die Erschließungskosten ansteigen, komplizierte Rechts- und Haftungsfragen zu klären sind und schwerwiegende Gefahren für Umwelt und Gesundheit bestehen (siehe Kapitel 11, Abschnitt 11.2).

• die Erschöpfung der Naturressourcen als Auswirkung der “Wegwerfmentalität” in Volkswirtschaften mit gewaltigen Materialströmen.


Unter dem Druck der Öffentlichkeit und der Politik zugunsten eines besseren Schutzes der Umwelt und einer nachhaltigen Nutzung der Ressourcen sehen sich diejenigen, die Abfall erzeugen und bewirtschaften, nunmehr mit einem Komplex von Forderungen unterschiedlichster Art konfrontiert. Abfälle sind im wesentlichen ein Produkt der modernen Wirtschaftstätigkeit, wobei die größten Mengen in den Ländern mit der höchsten Produktionsleistung anfallen, das Aufkommen aber in der Regel nicht weiter steigt, wenn sich das BIP den Werten der wohlhabendsten Länder annähert. In Abbildung 7.1 ist dieses allgemeine Entwicklungsmuster am Beispiel der Siedlungsabfälle dargestellt. Allerdings sind die erfaßten Daten nicht genau genug, um einen exakten Zusammenhang herzustellen. Länder, deren Volkswirtschaften eine Übergangsphase durchlaufen, stehen vor der Perspektive, einerseits mit dem Erbe einer unzulänglichen Abfallwirtschaft und andererseits mit einem wachsenden Abfallaufkommen fertig werden zu müssen.


In Ermangelung umfassender und zuverlässiger Daten zur Abfallthematik und Absprachen zur bestmöglichen Lösung der mannigfaltigen Probleme kommen in Europa - zumeist in unkoordinierter Weise - die verschiedenartigsten Konzepte wie Abfallvermeidung, stoffliche Verwertung (Recycling), umweltfreundliche Technologien, Abfallverbrennung, Vorbehandlung und Entsorgung auf Deponien zur Anwendung. Für die Abfallsammlung, ‑sortierung und ‑behandlung sind eine Reihe verschiedener Systeme entwickelt und eine breite Palette rechtlicher und wirtschaftlicher Instrumente, z. B. freiwillige Vereinbarungen, Abgaben, Steuern und Vorschriften, eingerichtet worden. Die Erarbeitung universeller Abfallstrategien hat jedoch erst vor kurzem begonnen.


Parallel dazu ist die Abfallbewirtschaftung selbst zu einem Milliardengeschäft mit eigenen Zielen und Schwerpunkten geworden, bei denen die Umwelt und die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung nicht immer im Vordergrund stehen.


Radioaktive Abfälle sind in diesem Kapitel ausgeklammert, da hier spezielle Probleme eine Rolle spielen und die Bewirtschaftung anders geregelt ist als bei den meisten anderen Abfallarten.


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