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Bioenergie ist der Zukunft. Sie ist heute bereits die wichtigste erneuerbare Energiequelle (1) in Europa, und die Bioenergieerzeugung dürfte in den kommenden Jahrzehnten erheblich zunehmen. Biokraftstoffe wurden bisher als geeignetes Mittel für eine umweltfreundlichere Gestaltung des Verkehrswesens und Vermeidung teurer Ölimporte begrüßt.
Im Jahr 2008 machte das Thema Biokraftstoffe jedoch weltweit Negativschlagzeilen, und zwar hauptsächlich im Zusammenhang mit den steigenden Nahrungsmittelpreisen. Die Arbeit der EUA im Bereich Biokraftstoffe beschränkt sich zwar auf die umweltbezogenen Vor- und Nachteile, doch auch hier wird das Thema kontrovers diskutiert.
Eine Bioenergieproduktion in großtechnischem Maßstab bringt besonders im Hinblick auf die veränderte Flächennutzung erhebliche Umweltrisiken mit sich. Böden und Pflanzen sind die beiden größten CO2 Speicher auf der Erde — sie enthalten doppelt so viel Kohlenstoff wie unsere Atmosphäre. Bei einer groß angelegten Umwandlung von Waldflächen, Torfböden und Weideland in Nutzflächen für den Anbau von Biokraftstoffpflanzen würde mehr CO2 freigesetzt als eingespart.
Die Ausweitung des Anbaus von Feldfrüchten zur Deckung der kombinierten Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Kraftstoffen würde sich massiv auf die biologische Vielfalt in Europa auswirken und die Boden- und Wasserressourcen erheblich belasten. Die Nebeneffekte, so genannte „indirekte Veränderungen der Flächennutzung“, würden überall auf der Welt spürbar werden: Wenn Europa seine Lebensmittelexporte zurückfährt, würden andere Länder die Nahrungsmittelproduktion erhöhen, um die entstandene Lücke zu schließen. Dies könnte weltweit signifikante Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise haben.
Die Risiken in Europa könnten mit den richtigen Ackerkulturen und Bewirtschaftungsmethoden freilich minimiert werden. Biokraftstoffe, die beispielsweise aus Abfällen gewonnen werden, bieten in der Tat Umweltvorteile. Vor diesem Hintergrund hat sich die EUA mit der Frage befasst, wie sich der heraufziehende Bioenergieboom weiterentwickeln könnte und ob er unseren Energiebedarf decken kann, ohne der Umwelt zu schaden.
Fachbegriffe Biomasse: Bezeichnet lebende und vor kurzem abgestorbene Biomaterie, beispielsweise aus Feldfrüchten, Bäumen, Algen, Agrar — oder Forstrückständen oder Abfallströmen. Bioenergie: Alle Energieformen, die aus Biomasse gewonnen werden, einschließlich Biokraftstoffe. Biokraftstoff: Flüssigkraftstoffe für den Verkehr, die aus Biomasse hergestellt werden (2). |
Die Europäische Kommission hat ein verbindliches Ziel vorgegeben: Bis 2020 sollen 20 % der gesamten Energie in Europa aus erneuerbaren Energiequellen stammen (d. h. alle Formen von erneuerbaren Energien: Wind, Sonne, Wellen usw. sowie Bioenergie). Derzeit liegt der Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch in Europa bei 6,7 %. Zwei Drittel davon stammen aus Biomasse.
Auch die Europäische Kommission hat großes Interesse an der Förderung von Biokraftstoffen, weil eine Diversifizierung im Verkehrssektor wegen der Mineralölabhängigkeit besonders dringend geboten ist. Zudem trägt der Verkehrssektor zur Erhöhung der Treibhausgasemissionen bei und macht die Emissionseinsparungen in anderen Sektoren wieder zunichte.
Daher soll auf Vorschlag der Kommission der Anteil der Biokraftstoffe im Straßenverkehr bis 2020 auf 10 % erhöht werden, sofern ihre Nachhaltigkeit zertifiziert wurde. Im Jahr 2007 lag der Anteil der Biokraftstoffe im Straßenverkehr der EU bei 2,6 %. Um die Zielvorgabe von 10 % zu erreichen, muss die Europäische Union die Produktion und Einfuhr von Biokraftstoffen just in einer Zeit erhöhen, in der Biokraftstoffe im Zentrum komplizierter ökologischer und ökonomischer Diskussionen stehen.
Die EU-Zielvorgaben für den Biokraftstoffanteil geraten immer öfter ins Visier der Kritik. Das Europäische Parlament hat im Hinblick auf das Zehn‑Prozent-Ziel unlängst eine Garantie gefordert, dass die Biokraftstoffe zu 40 % aus Quellen stammen, die nicht mit der Nahrungsmittelproduktion konkurrieren. Der Wissenschaftliche Ausschuss der EUA warnte davor, dass die angestrebte Erhöhung des Biokraftstoffanteils auf 10 % im Verkehrssektor bis 2020 zu ambitioniert sei und vorläufig ausgesetzt werden sollte.
Die Förderung von Biokraftstoffen und anderen Bioenergien in Europa hat zwangsläufig direkte und indirekte Auswirkungen auf andere Teile der Welt.
So könnten wir in Europa Biodiesel aus Rapsöl zwar nachhaltig herstellen, doch stünde dadurch weniger Rapsöl für die Nahrungsmittelproduktion innerhalb und außerhalb Europas zur Verfügung.
Diese Lücke könnte teilweise durch Palmöl geschlossen werden. Allerdings würde dies eine weitere Rodung der Regenwälder zur Folge haben, da in Ländern wie Indonesien Bäume für den Anbau weiterer Palmpflanzen abgeholzt würden.
Die weltweite Nachfrage nach Biokraftstoffen ist einer von vielen Faktoren, die zum jüngsten Anstieg der Lebensmittelpreise beigetragen haben. Weitere Faktoren waren Dürreperioden in Haupterzeugerländern, der steigende Fleischkonsum, steigende Ölpreise usw. Nach Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) werden die aktuellen und geplanten Fördermaßnahmen für Biokraftstoffe in der EU und den USA dazu führen, dass die Preise für Weizen, Mais und Pflanzenöl mittelfristig um durchschnittlich 8 %, 10 % bzw. 33 % ansteigen werden.
Der weltweit steigende Nahrungsmittelkonsum in Verbindung mit der gestiegenen Nachfrage nach Biokraftstoffen führt zu einer Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf Kosten des natürlichen Weidelands und der tropischen Regenwälder. Dieser Aspekt ist sehr wichtig, da schätzungsweise 20 % der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Entwaldung und die Bewirtschaftungsmethoden zurückzuführen sind. Mit der groß angelegten Umwandlung von Waldflächen in landwirtschaftliche Nutzflächen würde dieser Anteil steigen, was gravierende Folgen für die biologische Vielfalt nach sich ziehen würde.
Auch die Tier- und Pflanzenwelt sowie Wassermenge und qualität wären massiv betroffen, wenn natürliche Lebensräume oder traditionell bewirtschaftete Flächen in großem Maßstab umgewandelt und für die Bioenergieerzeugung intensiv genutzt würden.
Bei den jüngsten wissenschaftlichen Versuchen zur Schätzung der Auswirkungen einer verstärkten Bioenergieproduktion zeigen sich erste Ergebnisse und Strukturen, die nach Auffassung der EUA besondere Aufmerksamkeit verdienen.
Eine in Brasilien durchgeführte Studie wies anhand von Satellitenbildern und terrestrischer Aufnahmen nach, dass das Tempo der Umwandlung von Wäldern in Ackerland im Amazonasgebiet mit einem weltweiten Anstieg der Sojabohnenpreise einhergeht — je höher der Sojapreis, desto mehr Regenwald wird abgeholzt. Und kaum jemand bezweifelt ernsthaft, dass die Nachfrage nach Bioethanol die Preise weiter in die Höhe treiben wird, wenn Soja-Anbauflächen auf Maispflanzen für US-Bioethanol umgestellt werden.
Unterdessen erforschen Tim Searchinger und Forscher der Purdue University, USA, anhand eines globalen agrarökonomischen Modells, wie der großflächige Anbau von Mais und Präriegras für US-Bioethanol den Nahrungspflanzenanbau in anderen Regionen der Welt verändern könnte, wenn dort Wälder und Weideland in Ackerland umgewandelt werden, um die Nahrungsmittellücke zu schließen.
Bei ihrer Forschungstätigkeit gehen sie davon aus, dass die Treibhausgasemissionen in Verbindung mit Bioethanol mindestens 50 Jahre lang höher sein werden als bei der Nutzung fossiler Brennstoffe. Der Grund dafür ist, dass Weideland und Wälder als CO2‑Speicher fungieren. Wenn diese Flächen für den Anbau von Pflanzen genutzt werden, die für die Herstellung von Biokraftstoffen geeignet sind, würde diese Speicherfunktion entfallen. Es würde Jahrzehnte dauern, bis die Nachteile wieder ausgeglichen sind.
Die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die natürlichen Ressourcen wie Wasser sind schwieriger zu bestimmen. Der zunehmende Maisanbau im Mittleren Westen der USA beispielsweise bedroht die Meeresfauna und flora im Golf von Mexiko, in dem bedingt durch den hohen Nährstoffeintrag aus dem Mississippi eine Totzone von mehr als 20 000 km2 entstanden ist. Einer kürzlich durchgeführten Studie zufolge wird die Erfüllung der Zielvorgaben des US-Energiegesetzes für 2022 die Stickstoffbelastung im Mississippi um 10 bis 34 % ansteigen lassen.
Nach den Schätzungen einer EUA-Studie aus dem Jahr 2006 könnten 15 % des voraussichtlichen Energiebedarfs in Europa im Jahr 2030 durch Bioenergie aus Agrar-, Forst- und Abfallprodukten mit ausschließlich europäischen Ressourcen gedeckt werden. Diese Schätzung wird als „Biomassepotenzial“ Europas bezeichnet. In der Studie wurden verschiedene Bedingungen für den Schutz der biologischen Vielfalt und zur Abfallminimierung definiert, um sicherzustellen, dass das „Biomassepotenzial“ keine Umweltschäden verursacht.
Im Jahr 2008 analysierte die EUA anhand des (ursprünglich zur Untersuchung der Strommärkte für erneuerbare Energien entwickelten) Modells „Green-X“, wie dieses umweltverträgliche „Biomassepotenzial“ aus Umweltsicht am wirtschaftlichsten genutzt werden kann.
Die Studie deutet darauf hin, dass die wirtschaftlichste Methode zur Nutzung des modellierten Biomassepotenzials darin bestünde, 18 % der Wärme, 12,5 % der Elektrizität und 5,4 % der Kraftstoffe für Verkehrszwecke bis 2030 aus Biomasse zu erzeugen.
Durch den reduzierten Einsatz fossiler Energieträger in allen drei Bereichen könnte der Kohlendioxidausstoß bis 2020 um 394 Mio. Tonnen verringert werden. Noch höher würden die Emissionseinsparungen ausfallen, wenn der Gesetzgeber Technologien zur Kraft-Wärme-Kopplung bei der Strom- und Wärmeerzeugung Vorrang einräumen würde. Bei diesen Technologien wird die als Nebenprodukt der Stromerzeugung entstehende Wärme verwertet.
Natürlich ist all dies mit Kosten verbunden. Die verstärkte Nutzung von Bioenergie wird gegenüber einem vergleichbaren Modell mit herkömmlicher Energie bis 2030 um rund 20 % höhere Kosten verursachen. Letzten Endes werden die Verbraucher diese Kosten tragen müssen.
Die Entwicklungen seit Beginn dieser Arbeiten, insbesondere die weltweit gestiegenen Lebensmittelpreise, deuten darauf hin, dass die Schätzungen des „Biomassepotenzials“ zu hoch angesetzt sind: Für den Anbau von Bioenergiepflanzen in Europa wird vermutlich weniger Land zur Verfügung stehen. Auch die hohen Ölpreise könnten die Bilanz beeinflussen.
Eines zeichnet sich jedoch klar ab: Aus Kostensicht und zur Eindämmung des Klimawandels wäre es besser, auf Bioenergie für die Strom- und Wärmeerzeugung in kombinierten Kraft- und Heizwerken zu setzen statt sich vornehmlich auf Kraftstoffe für den Verkehr zu konzentrieren.
Die oben beschriebenen negativen Auswirkungen auf dem Weg zur Bioenergie lassen sich durch eine schlagkräftige Politik auf internationaler Ebene vermeiden, die einer veränderten Flächennutzung entgegenwirkt, welche die Umweltprobleme noch verschärfen würde. Die Herausforderung ist zweifellos globaler Natur, und wir müssen eine weltweite Debatte darüber in Gang setzen, wie wir dem Verlust an biologischer Vielfalt und dem Klimawandel bei gleichzeitiger Berücksichtigung der weltweit steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln und der dramatisch gestiegenen Ölpreise Einhalt gebieten können.
Nach Auffassung der EUA-Experten sollte Europa aktiv darauf hinarbeiten, möglichst viel Bioenergie in Europa zu erzeugen und zugleich ein Gleichgewicht zwischen Nahrungsmittel-, Brennstoff- und Faserproduktion anstreben, ohne die Leistungen der Ökosysteme zu gefährden. Wir sollten die bisherigen Erkenntnisse über Biokraftstoffe als Grundlage für Erforschung und Entwicklung fortschrittlicher Biokraftstoffe verwenden (siehe Textkasten). Dabei sollten wir alle Umweltfolgen einbeziehen, einschließlich der Auswirkungen auf Böden, Wasser und biologische Vielfalt bis hin zu den Treibhausgasemissionen. Auf diese Weise könnte die EU eine Führungsrolle beim Aufbau eines wirklich nachhaltigen Bioenergiesektors übernehmen.
Ein Versprechen der nächsten Generation Biokraftstoffe der zweiten Generation können aus einer Vielzahl von nicht für Lebensmittel genutzten Pflanzen hergestellt werden. Dazu gehören u.a. Abfallbiomasse, Holz, Weizen- oder Maisstängel und spezielle Energie- oder Biomassepflanzen wie Chinaschilf. Biokraftstoffe der zweiten Generation können die Treibhausgasemissionen und andere negative Effekte wie den Düngereinsatz zwar signifikant verringern, doch sie werden vermutlich nicht rechtzeitig verfügbar stehen, um wesentlich zum Erreichen des Zehn-Prozent-Ziels für den Biokraftstoffanteil im Verkehrssektor beizutragen. In Bezug auf diese Produktionsprozesse, ihre Auswirkungen und Möglichkeiten ist noch viel Forschungsarbeit notwendig. Zudem werden Energiepflanzen und Nahrungspflanzen wohl auch künftig um Flächen und Wasser konkurrieren. |
Referenzliteratur
Donner, S. D. und Kucharik, C. J., 2008. Corn‑based ethanol production compromises goal of reducing nitrogen expert by the Mississippi river. Proceedings of the National Academy of Sciences, Vol. 105, S. 4 513–4 518.
EUA, 2006. How much bioenergy can Europe produce without harming the environment. EEA Report No 7/2006.
EurObserver. Biofuels Barometer: http://www. energies-renouvelables.org/observ-er/stat_baro/observ/baro185.pdf.
OECD, 2008. Economic assessment of biofuel support policies. Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, Paris.
(1) Erneuerbaren Energien sind Energie aus Wind, Meer, Sonne, Wasserkraft usw.
(2) Der Begriff Biokraftstoff kann für alle Kraftstoffe (fest, flüssig oder gasförmig) verwendet werden, die aus Biomasse hergestellt wurden. In diesem Beitrag bezieht er sich jedoch speziell auf Kraftstoffe für Verkehrszwecke.
For references, please go to https://eea.europa.eu./de/articles/der-boom-bei-der-bioenergie-und-seine-folgen-2014-die-umstellung-von-ol-auf-bioenergie-ist-nicht-ohne-risiko or scan the QR code.
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