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Dines Mikaelsen stützt sein Gewehr zur Stabilisierung auf den Bug des sanft schaukelndes Bootes, lädt nach und bedeutet seinen Begleitern, still zu sein. Der Inuit-Jäger hat bereits mehrfach danebengeschossen. Er drückt den Abzug. Ein lauter Knall hallt von den Eisbergen wider, und in etwa hundert Metern Entfernung bricht eine Robbe zusammen.
Die vier Begleiter von Dines Mikaelsen – Touristen – sind sprachlos. Genau das wollten sie sehen, aber trotzdem sind sie etwas schockiert. Der Inuit und die Touristen, von denen inzwischen ein beträchtlicher Teil seines Einkommens abhängt, sind noch neu füreinander. Während andere Kulturen fast ausschließlich von sauber in Folie verpackten Fleischstücken leben, spielen die Jagd und traditionelle Formen der Tierhaltung nach wie vor eine zentrale Rolle für die in der Arktis beheimateten Kulturen.
So wie das kleine Fremdenverkehrsunternehmen von Dines Mikaelsen werden die Kultur und die Landschaften der Arktis inzwischen von zwei mächtigen Kräften geprägt: der Globalisierung und dem Klimawandel. Die Globalisierung brachte MTV, iPods, modernste Navigationssysteme und mehr Kontakte zur übrigen Welt. Der Klimawandel verändert die gefrorene Landschaft, bringt Gletscher zum Schmelzen und eröffnet Seewege. Die neue Situation ist mit neuen Möglichkeiten verbunden. So laufen neuerdings Kreuzfahrtschiffe Tasiilaq an, das Dorf auf der Insel Ammassalik an der kahlen Ostküste Grönlands, in dem Dines Mikaelsen lebt. 2006 kamen vier Kreuzfahrtschiffe; im darauffolgenden Jahr waren es acht. „Vor fünf Jahren gab es im Norden von Grönland noch keine Fliegen. Jetzt gibt es sie auch dort. Hier kommen die Fliegen jetzt einen Monat früher an“, sagt Dines Mikaelsen. Es ist auch spürbar wärmer. In den letzten Sommern kletterten die Temperaturen bis auf 22 Grad und brachen damit alle Rekorde.
Was ist die Arktis?Die Arktis ist ein riesiges Gebiet, das sich über ein Sechstel der Landmasse der Erde, über 24 Zeitzonen und mehr als 30 Millionen km² erstreckt. Einen Großteil der arktischen Region bedeckt der bis zu 4 km tiefe Ozean, aber die Region weist auch große Landflächen auf. In der Arktis leben etwa 4 Millionen Menschen, zu denen über 30 indigene Völker zählen. Acht Staaten (Kanada, Dänemark/Grönland, Finnland, Island, Norwegen, die Russische Föderation, Schweden und die USA) haben Territorien in der arktischen Region. Fünf von ihnen sind Mitgliedstaaten der Europäischen Umweltagentur, von denen drei Mitglied der EU sind. |
Der Klimawandel wirkt sich in der Arktis stärker aus als andernorts. In den letzten 50 Jahren sind die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell gestiegen wie im globalen Durchschnitt.(19) Im Rahmen der Catlin Arctic Studie, die im Frühjahr 2009 stattfand, vermaßen Wissenschaftler das Eis über eine Strecke von etwa 450 km, die durch die am nördlichen Rand der Arktis gelegene Beaufortsee führte Im Durchschnitt war das arktische Eis 1,80 m dick und nur ein Jahr alt. Das ältere, dickere und stabilere Eis verschwindet allmählich. Im Sommer 2008 waren die Nordwest- und die Nordost-Passage durch die Arktis erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen eisfrei und schiffbar.
Die damit verbundenen Auswirkungen drohen, das empfindliche Netzwerk der arktischen Ökosysteme, die sich schon jetzt rasch verändern, zu zerstören. Besonders das arktische Meereis ist akut davon betroffen. Das Eis und das Meer unter dem Eis sind Lebensraum für eine bunte Vielfalt des Lebens – bedroht von der globalen Erwärmung.
Eisbären verhungern, weil das unmittelbar am Wasser gelegene Eis, der bevorzugte Rastplatz von Robben, für die Eisbären zu dünn ist. Zugvögel, die den Sommer in der Arktis verbringen, verpassen die üppigste Frühjahrsblüte, weil sie drei Wochen früher einsetzt – vor der Ankunft der Vögel.
Umweltverschmutzung und das Stillen von Babys(18)Zahlreiche gefährliche Schadstoffe, einschließlich landwirtschaftlicher Chemikalien, Flammschutzmitteln, Schwermetallen und radioaktiver Substanzen, wirken seit Jahrzehnten auf die Arktis und die dort lebenden Menschen ein. Andernorts auftretende Verschmutzungen werden durch Wind und Meer in die Arktis transportiert. Aufgrund der niedrigen Temperaturen werden Schadstoffe wie DDT nicht abgebaut und verbleiben im Wasser. Da sie von Fettgewebe wie z. B. Robbenfleisch absorbiert werden, gelangen diese chemischen Stoffe zur einheimischen Bevölkerung. In einigen Teilen der Arktis wird stillenden Müttern deshalb geraten, die Nahrung ihrer Babys mit Milchpulver zu ergänzen, um die Schadstoffbelastung zu reduzieren. |
Für viele von uns liegt die Arktis, sowohl was ihre geografische Lage als auch ihre Bedeutung angeht, in weiter Ferne. Doch die Region spielt bei der Regulierung des globalen Klimas eine Schlüsselrolle. Falls sich der Klimawandel im prognostizierten Tempo fortsetzt, dann wird das für uns alle schwerwiegende Auswirkungen haben.
Nord- und Südpol haben entscheidenden Einfluss auf die Regulierung des Klimas der Erde – sie fungieren als unsere Kühlsysteme. Eine Verringerung der Schneedecke bedeutet, dass die Erde mehr Wärme von der Sonne absorbiert und sich die Meeresströmungen verschieben. Der Arktische Ozean, der eine Mischung aus dem Süßwasser des geschmolzenen Eises und aus Salzwasser bildet, beeinflusst die Meeresströmungen weltweit. Nach Ansicht einiger Wissenschaftler könnte zu viel Süßwasser einige dieser Meeresströmungen, die das Klima weiter südlich maßgeblich beeinflussen, sogar „abschalten“.
Die arktische Region ist die Heimat von Millionen von Menschen, von denen viele einzigartigen indigenen Völkern angehören. Diese Menschen und ihre Kultur sind ebenfalls gefährdet.
Das Schmelzen des arktisches Meereises und der Gletscher wird dem Menschen neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnen. Wahrscheinlich ist, dass sich zahlreiche Wirtschaftstätigkeiten in der Arktis in den nächsten Jahrzehnten verstärken werden. Der Fischfang wird sich mit dem Rückzug des Eises weiter nach Norden ausdehnen; die Öl- und vor allem die Gasreserven in der Arktis werden erschlossen werden; der Fremdenverkehr nimmt jetzt schon zu; der Schiffsverkehr wird sich im Einklang mit der Ausfuhr arktischer Ressourcen wahrscheinlich verstärken.
Dank der Zunahme eisfreier Gewässer und dünnerer Eisdecken könnte der interkontinentale Güterverkehr Einzug halten, der allerdings die Entwicklung entsprechender Schiffe und Infrastrukturen erfordert. Der Abbau von Rohstoffen und die Gewinnung von Holz und anderen Ressourcen dürften ebenfalls zunehmen. Es könnte zum Wettbewerb zwischen den arktischen Ländern um die Kontrolle über Ressourcen, Territorien und Schifffahrtsrouten kommen. Die Abwägung der Möglichkeiten, die eine Erwärmung der Arktis bietet und der damit verbundenen Gefahren (wie Ölverschmutzungen und Auswirkungen auf die Umwelt) stellt eine enorme Herausforderung dar – eine Herausforderung, die Veränderungen in der Verwaltung der Arktis erfordert.
In anderen Teilen der Welt besteht die Herausforderung darin, geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen. In der Arktis haben wir die Chance, eine größtenteils noch einzigartige Umwelt zu schützen. Die derzeitige Regierungsform in der Arktis ist stark zersplittert. Zwar gilt eine Vielzahl internationaler Vereinbarungen für die Arktis, die aber nicht speziell für diese Region abgeschlossen wurden und die – selbst von den arktischen Staaten – unterschiedlich angewendet und durchgesetzt werden.
Im November 2008 legte die Europäische Kommission ein Dokument vor, in dem sie die Interessen der EU in der Region umreißt und ein Paket von Maßnahmen für die Mitgliedstaaten und Institutionen der EU vorschlägt. Dies ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer integrierten Arktis-Politik der EU. Ihre Hauptziele sind:
Schutz und Erhalt der Arktis im Einvernehmen mit der einheimischen Bevölkerung
Eisbären auf unfreiwilliger DiätEinem neuen Bericht des Nordischen Ministerrats mit dem Titel „Signs of Climate Change in Nordic Nature“ zufolge zwingt der Klimawandel die Eisbären zum Abnehmen, da das Eis in jedem Frühjahr zeitiger zu schmelzen beginnt. Die frühere Schmelze beschränkt die Zahl der Robben, die die Bären jagen können. In bestimmten Teilen der Arktis wiegt eine Eisbärin jetzt durchschnittlich nur noch 225 kg. Das sind 25 % weniger als vor zwei Jahrzehnten. Falls sich dieser Trend fortsetzt, besteht die Gefahr, dass Eisbären aus einigen Teilen der Arktis vollständig verschwinden. Der Bericht stellt Indikatoren vor, mit deren Hilfe die Auswirkungen des Klimawandels gemessen und Entwicklungen in den nordischen Ökosystemen verfolgt werden können. Anhand der 14 Indikatoren lassen sich die Auswirkungen der globalen Erwärmung beispielsweise auf die Wachstums- und Pollensaison sowie Fisch- und Planktonbestände beschreiben. Die Pollensaison beginnt immer früher und bereitet Allergikern damit noch größere Probleme. In einigen Teilen Dänemarks, Norwegens und Islands beginnt die Birkenpollensaison jetzt beispielsweise einen Monat früher als in den 1980er Jahren. |
18 Amap Assessment 2009: Human Health in the Arctic
19 IPPC, Fourth Assessment Report (4AR), Summary for Policy Makers, 2007
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